Warum Rekurse mit weltanschaulicher Begründung die bauliche Entwicklung verhindern.
Veröffentlicht am 20.09.2023 von Sonja Rueff-Frenkel, Kantonsrätin FDP Kreise 1+2
Stellen Sie sich vor, es herrscht Wohnungsnot in einer grossen Stadt, es gibt die konkrete Absicht, Wohnungen zu erstellen, und eine private Stiftung will auf juristischem Weg ein Bauprojekt mit einer Fläche von 4000m2 preisgünstigen Wohnungen abschiessen. Begründung: Die Gebäude seien städtebaulich verfehlt. Das könne man viel besser machen. Die Sonderbauvorschriften seien auch veraltet. Stockt Ihnen auch der Atem? Mir schon.
Leider kein fiktives Beispiel, sondern alltägliche Realität in Zürich. Beim Bauprojekt handelt es sich um jenes von Welti Furrer in Zürich West (sie kennen bestimmt, das alte Parkhaus an der Pfingstweidstrasse, das soll weg), die Rekurrentin ist die Hamasil Stiftung von Martin Seiz.
Das Welti Furrer Parkhaus in Zürich West ist stadtbekannt. Es stammt aus den achtziger Jahren, ein durch und durch funktionaler Bau ohne gestalterischen Anspruch - ein Parkhaus halt. Eigentümerin des Areals ist die Knecht Gruppe, zu der auch Welti Furrer gehört. Sie plant an Ort und Stelle zwei neue Gebäude mit Büros und Wohnungen entworfen vom renommierten Architekten Max Dudler. Die Stadt hat (nach einer Bearbeitungszeit von über einem Jahr!) im Juni die Baubewilligung erteilt. Eine Baubewilligung wird erteilt, wenn alle öffentlich-rechtlichen Vorschriften erfüllt sind.
Nun hat, die Hamasil Stiftung Rekurs eingelegt. Die Stiftung unterhält einen Gebäudepark im Viertel und ist somit einspracheberechtigt. Diese Berechtigung nutzt sie sehr rege, so schon beim Prime Tower und ebenfalls in diesem Jahr gegen das SPS-Projekt rund um die Maag Hallen. Der springende Punkt: Die Stiftung ist von den materiellen Auswirkungen des Welti Furrer-Projekts nicht betroffen, die Verantwortlichen hinter der Stiftung wohnen nicht einmal in Zürich. Es geht ihnen nicht um Schattenwurf oder nachteilige Preisentwicklung für die eigenen Gebäude oder um technische Mängel am Neubau. Es geht nur ums Grundsätzliche: Die eigene Vorstellung, wie das Quartier auszusehen habe, durchzudrücken., die Vorstellung der Stiftung, bzw.. der Personen dahinter, wie das Quartier auszusehen hat.
Ich halte das für einen Missbrauch des Rechtsmittelverfahrens. Wie auch der Chefökonom der Raiffeisenbank, Martin Nef, kürzlich in den Medien forderte müssen wir das Rekursverfahren überdenken. Nef schwebt etwa ein qualifiziertes Einspracherecht vor. Übergeordnete, weltanschauliche Interessen am Bauprojekt berechtigen nicht mehr zu einem Rekurs. Das halte ich für sinnvoll - insbesondere in der jetzigen Zeit der Wohnungsknappheit und wo das Bauen immer mehr erschwert wird.
Aber es betrifft nicht nur die Stadt Zürich. Heute werden Rekurse überall in der Schweiz als strategische Waffe gegen Veränderungen wider die eigene Vorstellung eingesetzt. Zum Nachteil ganzer Quartiere, auch zum Nachteil der Bevölkerung, die mehr Wohnungen benötigt und des wohnungsuchenden Mittelstands. Damit wir da wieder rauskommen, müssen wir die Einspracheberechtigung gegen Bauprojekte viel enger fassen. Aber der Reihe nach:
Die ausufernde Geltendmachung von Vorbehalten weltanschaulicher Natur verhindert nämlich, dass in Zürich mehr gebaut wird. Das Einzige, was die Hamasil Stiftung mit dem Einsatz ihrer enormen finanziellen Mittel erreicht, ist die Verhinderung neuer, preisgünstiger Wohnungen für ein Quartier, das schon jetzt die tiefste Wohnraumquote in Zürich aufweist. Nur um es klarzustellen: selbstverständlich ist eine konstruktive Debatte darüber erwünscht, wie Zürich aussehen soll. Nur ist das Rechtsmittelverfahren dafür der falsche Ort. Die Knecht Gruppe steht seit Jahren in einem intensiven Austausch mit der Stadt und hält sich an alle Auflagen, hat sogar den Anteil preisgünstiger Wohnungen erhöht, nach dem sich im Gemeinderat Widerstand gegen den für das Projekt notwendigen Landabtausch mit der Stadt regte. Das Geschäft ging schliesslich mit Stimmen von links durch. Und nun: die grosse Blockade. Ausnahmsweise nicht von der Politik, sondern von einer Stiftung.
Für das Quartier könnte es aber noch dicker kommen: Im Zürcher Gemeinderat ist ein Geschäft hängig, das das gesamte Areal einer Planungszone unterstellen will. Damit wären sämtliche Projekte auf Jahre hinaus blockiert, die Wohnraumentwicklung stünde still. Die Motionäre kommen übrigens aus dem Umfeld der «Blühende Pfingstweide», ein Gegenprojekt zum Welti Furrer-Vorhaben, lanciert und finanziert, Sie ahnen es, von der Hamasil Stiftung.
Dies ist mehr als eine Randnotiz wert, denn es geht darum, wer bestimmt, wie unsere Stadt aussehen soll.