Heute für Übermorgen
Veröffentlicht am 06.02.2025 von Patrik Brunner, Gemeinderat FDP Kreis 6

Flüchtlingspolitik bewegt. Wer mit seinem Umfeld darüber spricht, stellt fest: Jeder hat eine Meinung dazu. Doch hier geht es nicht um die berechtigte Diskussion, wer warum hier ist, sondern um die Themen Integration und Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Um insbesondere den Mineurs non accompagnés (MNA), den minderjährigen Asylsuchenden, die alleine hier sind und auch hier bleiben werden, eine Perspektive zu bieten.
Die Zürcher Fachorganisation AOZ kümmert sich in erster Linie um die Asylunterkunft und bietet des Weiteren unterschiedliche Integrationsangebote für Asylsuchende, Flüchtlinge sowie Zugewanderte. Personen mit Ausbildungspotenzial lernen lesen, schreiben und rechnen und holen so in der Schweiz die fehlende Grundbildung nach. Besonders talentierte und motivierte Personen werden auf die berufliche Ausbildung vorbereitet und beim Finden einer Lehrstelle intensiv unterstützt. Für Lernende in nicht der AOZ-angehörenden Ausbildungsbetrieben endet die Unterstützung mit Beginn der Ausbildung jedoch abrupt. Gleichzeitig bringt der Eintritt in die Lehre enorme schulische und/oder psycho(soziale) Herausforderungen mit sich. Unser Berufsbildungssystem ist den wenigsten Klienten der AOZ bekannt; deshalb ist der Berufsschulbetrieb für sie sehr ungewohnt, wenn nicht fremd.
Aktuell wird die Begleitung, in Fachkreisen als Supported Education (SEd) bekannt, nur teilweise über die Sozialhilfe finanziert und ist mit erheblichem bürokratischem Aufwand verbunden. Zudem ist sie zeitlich auf das erste Semester begrenzt. Fällt die Begleitung für Menschen mit Fluchthintergrund während der Ausbildung weg, ist der Abschluss stark gefährdet – damit sinken die Chancen auf dem Arbeitsmarkt und die erfolgreiche Integration in das Berufsleben der Schweiz massiv. Aus diesem Grund haben Ruedi Schneider (SP) und ich das Postulat 2025/37 «Gewährleistung einer unbürokratischen Finanzierung für die nachhaltige Begleitung und Unterstützung von Menschen mit Fluchthintergrund in der Berufsausbildung Supported Education der AOZ» eingereicht.
Mit Motivation zum Anschluss
Durch meine langjährige Erfahrung als Berufsschullehrer weiss ich, dass die jungen Menschen nicht an der fehlenden Motivation, sondern am System scheitern. Sie haben sich dank des Angebots der AOZ zwar Grundkenntnisse in Deutsch Schreiben und Lesen sowie im Rechnen angeeignet. Aber präsent und pünktlich zu sein, Deadlines einzuhalten, ein Laptop professionell bedienen zu können, selbstständig zu arbeiten und sich aktiv im Unterricht zu beteiligen sind Dinge, die wir beim Lehrantritt voraussetzen, die für Flüchtlinge aber schwer nachvollziehbar sind. Damit sie den Anschluss nicht verlieren und die grossen Hürden überwinden können, müsste jemand die Aufgaben nochmals mit ihnen durchgehen, Aufträge besprechen und an der geforderten Qualität der Lernprodukte arbeiten. Jedoch haben weder Lehrpersonen noch die Vorgesetzten in den Ausbildungsbetrieben die notwendige Zeit dafür. Mit dem Angebot Supported Education (SEd) der AOZ ist das nun möglich. Die AOZ begleitet die Flüchtlinge bereits intensiv, sie kennt deren Stärken und Schwächen und es wurde ein Vertrauensverhältnis aufgebaut. Das sind perfekte Voraussetzungen, um die Klienten auch durch die Lehre zu bringen. Ohne SEd verpufft alles, was vorher in die Personen investiert wurde, und Zeit und Geld wäre verschwendet. Doch mit unserem Postulat gehen wir die letzten Meter auf dem Bildungsweg weiter und ermöglichen den Personen, produktive und aktive Mitglieder unserer Gesellschaft zu werden.
Mit Begleitung zum Abschluss
Das Berufsbildungssystem in der Schweiz ist einzigartig und ein Erfolgsmodell. Damit diese Tür den Lernenden mit einem komplett anderen kulturellen Hintergrund offensteht, brauchen sie Begleitung in Form von Aufgabenhilfe, Prüfungsvorbereitungen etc. Mit SEd werden Lernende in Zusammenarbeit mit allen involvierten Personen (Ausbildungsbetrieb, Schule, Unterbringung etc.) befähigt und unterstützt, eine Berufsausbildung abzuschliessen und anschliessend den Übertritt in den Arbeitsmarkt zu schaffen. Durch die Begleitung kommt es weniger häufig zu Ausbildungsabbrüchen, weil Schwierigkeiten frühzeitig erkannt und die Lernenden gezielt unterstützt werden. Von einem erfolgreichen Abschluss und dem Übergang in die Arbeitswelt profitieren alle: Weil unterstützungsbedürftige zu Steuerzahlenden werden und Sozialkosten so langfristig reduziert und die lokale Wirtschaft gestärkt werden.
Weniger für mehr
Die AOZ verfügt auch über eigene Ausbildungsbetriebe, unter anderem das Restaurant Riedbach mit 16 Ausbildungsplätzen. Lernende können sich zu Restaurantfachangestellten EBA/EFZ oder zu Koch oder Köchinnen EBA/EFZ ausbilden lassen. Und eine Investition in eine gute Ausbildung zahlt sich aus: Der Betrieb hat eine Abschlussquote von 100 % und die Lernenden sind nachweislich auch fünf Jahre nach Lehrabschluss noch auf dem Arbeitsmarkt tätig, was bedeutet, dass sie kein Geld von der Arbeitslosenkasse beziehen. Trotz des Erfolgs ist der Prozess rund um die Zuweisung der Lernenden und die finanzielle Unterstützung mit viel Bürokratie verbunden. Deshalb habe ich zusammen mit Ruedi Schneider (SP) zusätzlich das Postulat 2025/36 eingereicht. Darin fordern wir den Stadtrat auf, effizientere und einfachere Verfahren und Prozesse für die Einstellung und Zuweisung der Lernenden im Ausbildungsbetrieb Restaurant Riedbach AOZ zu ermöglichen.
Diese Gesamtmassnahmen zur Stärkung der Berufsbildung AOZ reduzieren die Bürokratie: Das bedeutet weniger sinnlose Kosten für Steuerzahlende und mehr Perspektiven für Betroffene. In der Schweiz ist der Abschluss einer Berufslehre der Schlüssel zur Integration in die Gesellschaft und unsere Wirtschaft. Beide Postulate verfolgen das Ziel, heute etwas für übermorgen zu tun. Damit junge Leute nicht in die Illegalität abdriften oder am Tropf unseres Sozialsystems hängen, sondern zu vollwertigen Berufsleuten, Steuerzahlern und Konsumenten und Bürgerinnen und Bürgern werden.